Folge 49 - Verhütung, Abbruch, Selbstbestimmung? Ein feministischer Reality-Check: Von Pro-Choice zum Kampf für reproduktive Gerechtigkeit
Wie frei können wir heute wirklich über unser Leben und unseren Körper entscheiden?
In dieser ersten Folge der Trilogie zu reproduktiver Gerechtigkeit geht es um das Recht, keine Kinder zu bekommen: von der Verantwortung für Verhütung über Kostenfragen bis hin zu den vielen Hürden bei Schwangerschaftsabbrüchen. Mit persönlichen Erfahrungen, Sprachnachrichten und Expert*innen wie Franka Frei, Taleo Stüwe und Jonte Lindemann.
Gemeinsam fragen wir: Warum fühlen sich so viele von uns allein gelassen – und was würde es bedeuten, reproduktive Gerechtigkeit wirklich umzusetzen?
Diese Folge ist eine Kooperation mit dem Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll Stiftung. Du hörst die erste Folge der Trilogie zu reproduktiver Gerechtigkeit.
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Shownotes zur Podcastfolge:
Loretta Ross: Reproductive Justice – An Introduction (auf buch7)
Loretta Ross Interview [YouTube]
GWI: Broschüre zu Reproduktiver Gerechtigkeit
Feminismus mit Vorsatz: Kinder ja oder nee 1+2
Franka Frei
Journalistin & Autorin
Franka Frei: Überfällig (auf buch7)
Jonte Lindemann
Gesellschaftswissenschaftler*in
Mitglied beim Gen-ethischen Netzwerk
Taleo Stüwe
Studie: Die Hälfte der Alleinerziehenden bekommt keinen Unterhalt vom anderen Elternteil [PDF]
Studie: Rund ein Viertel der Väter, die nicht zahlen, hätten genügend Geld [PDF]
Studie: Jede vierte Frau mit geringem Einkommen verzichtet min. einmal im Leben auf Verhütung [PDF]
Beratung zu Verhütung bei Pro Familia
Übersicht Verhütungsmethoden
https://betterbirthcontrol.org/conception
https://betterbirthcontrol.org/procreation
Shop: Andro Switch als Talismann
WHO: Zahlen rund um Schwangerschaftsabbrüche weltweit
ELSA-Studie: Erfahrungen ungewollt Schwangerer in Deutschland [PDF]
Anzahl der deutschen Krankenhäuser, die Schwangerschaftsabbrüche übernehmen
Kristina Hänel: AKF-Interview zu §219a [YouTube]
Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen bei gering verdienenden Personen [PDF]
taz: Schwangerschaftsabbrüche im aktuellen Koalitionsvertrag
Annie Ernaux: Das Ereignis (auf buch7)
Studien: Schwangerschaftsabbrüche finden immer statt und müssen sicher sein
Alisa Tretau: Nicht nur Mütter waren schwanger (auf buch7)
digitale Fortsetzung des Buchs: https://nichtnurmuetter.de/
Verein Selbstbestimmt steril (mit Deutschlandkarte von Gyns, die sterilisieren)
Studie zu gewollter Kinderlosigkeit [PDF]
Save the date: Reproductive Futures Festival am 21./22. November in Berlin
1000Dank an das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung für die Unterstützung, besonders danke ich Amina Nolte. Danke an Franka Frei, Taleo Stüwe und Jonte Lindemann und alle Sprachnachrichtler*innen!
Musik von slip.stream
Coverdesign: Svenja Limke
Titelmusik: Louis Schwadron
Transkript
Die Folge als Text!
Bitte beachte: Das Transkript wurde automatisch mit noScribe Vers. 0.5 erstellt und ist nicht perfekt.
Diese Folge ist eine Kooperation mit dem Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung. Du hörst die erste Folge der Trilogie zu reproduktiver Gerechtigkeit. (23 Sekunden Pause) Das ist Feminismus mit Vorsatz, der Podcast rund um feministische Perspektiven. Mit mir, Laura. Ich sitze in einem Flugzeug nach Peru. (...) Es ist 2013 und ich bin unterwegs zu meinem Auslandssemester. Alles ist organisiert. Die Abholung vom Flughafen, die Unterkunft, die Uni. Eigentlich sollte ich mich freuen, aber ich bin super nervös. Und zwar nicht wegen der Reise. [00:01:03] In den letzten Tagen hatte sich eine leise, aber doch deutliche Panik in mir aufgebaut. Ich habe mir immer wieder gesagt, ja, es ist bestimmt nur die Aufregung, neues Land, neue Sprache, alles neu. (.) Erst als ich nach ein paar abgebrochenen Filmen meine SitznachbarInnen bitte, mich rauszulassen und auf der Toilette einen Blutfleck in meiner Unterhose finde, macht sich Erleichterung breit. (.) Ich fange fast an zu schweben und muss mich zügeln, nicht im Hoppserlauf zurück zu meinem Platz zu galoppieren. (.) Seit ein paar Tagen schon war ich überfällig gewesen. Und eine leise Stimme fragte durch den Trubel der Vorbereitungen immer wieder, was ist, wenn ich jetzt schwanger bin? (.) Ich hätte überhaupt nicht gewusst, was ich tun soll. In Peru ist Abtreibung noch illegaler als in Deutschland. (..) Diese Situation war für mich ein Schlüsselmoment. Ich habe zum ersten Mal so richtig gespürt, wie fragil das eigentlich ist, dieses Recht, keine Kinder zu bekommen, wie wenig selbstverständlich das ist. Und wie sehr es davon abhängt, wo ich mich gerade befinde und wer ich bin. [00:02:07] Auch ich dachte lange, pro-choice ist das Ziel. In Deutschland heißt das, §218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, muss weg. Schwangere müssen frei entscheiden können, ob sie ein Kind bekommen oder nicht. Und klar, diese Forderung bleibt extrem wichtig. Aber was wäre denn, wenn man frei entscheiden dürfte, aber dann keine Ärztin findet, die den Abbruch vornimmt? Nicht so richtig die Infos bekommt, die man braucht? Oder nicht weiß, wie man das bezahlen soll? Mit der Legalisierung wäre noch nicht alles getan. Von all den Expertinnen, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochen habe, habe ich gelernt, es geht nicht nur um Kinder ja oder nein, sondern auch darum, unter welchen Bedingungen Menschen Kinder bekommen oder nicht. Konkret stehen drei Rechte im Mittelpunkt. Das Recht, Kinder zu bekommen, das Recht, keine Kinder zu bekommen und das Recht, Kinder unter gerechten Bedingungen großzuziehen. Was all das zusammenfasst, ist reproduktive Gerechtigkeit. Ein aktivistisches Konzept, das in den 1990er Jahren von schwarzen feministischen Aktivistinnen [00:03:12] in den USA entwickelt wurde, darunter Loretta Ross. Ihr Buch Reproductive Justice, an Introduction, ist bis heute ein grundlegendes Werk. (12 Sekunden Pause) Ein guter Überblick bietet die Broschüre Reproduktive Gerechtigkeit vom Gunda-Werner-Institut, die du dir kostenfrei runterladen kannst. Den Link findest du in den Show Notes. (.) Ich hatte reproduktive Gerechtigkeiten oder Ungerechtigkeiten auch schon mal in meinem Podcast erwähnt, damals in der Doppelfolge zu Kinder ja oder nee. Aber durch die Gespräche in dieser Reihe und durch meine eigene Mutterschaft hat sich mein Blick nochmal verändert. Mir ist nochmal klarer geworden, wie wichtig es ist, ganzheitlich hinzuschauen. Auf alle Lebensrealitäten. (.....) Du kannst deine Sexualität nur mit angezogener Handbremse ausleben, weil du dich weder 100 [00:04:17] Prozent auf Verhütung noch auf dein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch verlassen kannst. Du bist schwanger und fühlst dich irgendwie verpflichtet, diese ganzen Tests zu machen, damit du auch ja kein behindertes Kind zur Welt bringst. Du möchtest kein eigenes Kind haben und jepp, das wird sich auch nicht mehr ändern. (.) Du bist queer und kannst es dir schlicht nicht leisten, assistierte Befruchtung auszuprobieren. Du bist schwarz und fragst dich, ob deine Kinder in Deutschland überhaupt sicher aufwachsen können. Du hast ein behindertes oder krankes Kind und Unterstützung zu bekommen fühlt sich viel zu oft wie ein Kampf gegen Windmühlen an. Oder du hast eine große Familie und wirst schief angesehen, wenn du schon wieder schwanger bist. (..) All das kann im Einzelnen ein Umstand sein, ja mit dem lernt man wohl oder übel zu leben. Aber tatsächlich sind diese Fragen alle Dimensionen reproduktiver Gerechtigkeit. Du kennst das manchmal braucht man erstmal solche Worte, um wirklich benennen zu können, was ist. (.) [00:05:18] Reproduktive Ungerechtigkeiten sind kein individuelles Versagen von dir oder mir. Es sind wie so oft strukturelle Probleme, die auch strukturell gelöst werden könnten. Deswegen wäre es mir ein riesiges Anliegen, wenn wir auch da lernen, nicht ich bin das Problem, es ist das System. Diese Trilogie ist für alle, die spüren, dass da irgendwas nicht stimmt, aber noch keine Worte dafür hatten. Und für alle, die sich schon lange dafür einsetzen, dass wir uns frei für oder gegen Kinder entscheiden können und bessere Bedingungen für Kinder und Familien wollen, ohne das bisher unbedingt Kampf für reproduktive Gerechtigkeit genannt zu haben. S10 [00:05:58]: Mit 24 bin ich schwanger geworden und mir war sofort klar mit dem positiven Test, dass ich das Kind nicht haben möchte, weil ich auch in einer Lebenssituation war, die das einfach nicht hergegeben hat. (..) Was mir in der Situation irgendwie immer so ein bisschen unter den Tisch fällt, ist, es war kein Unfall in dem Sinne. (..) Ich habe für mich, boah, ich habe viel dafür getan, um den Männern um mir herum zu gefallen und habe auch vieles mitgemacht. Der Erzeuger dieses Kindes war nicht daran interessiert, Kondome zu benutzen und das war der Grund, wie dieses Kind entstanden ist. (..) Und es gibt mehr als Unfälle, die passieren können. (..) S08 [00:06:53]: Beginnen wir doch mal ganz von vorne. Verhütung. Verhütung ist eine Last, die ich als cis-hetero-Frau gefühlt schon immer in erster Linie getragen habe, obwohl sich meine Fruchtbarkeit auf wenige Tage im Monat beschränkt und Spermien theoretisch 24-7 befruchten können, was nicht schnell genug Kondom rufen kann. Warum nochmal fühle ich mich dann so verantwortlich? S01 [00:07:17]: Als ich dann erfahren habe, dass ich schwanger bin, dachte ich mir, okay, das gehört ja nicht nur mir das Kind, sondern das gehört ja dann auch dem Typen, mit dem ich was hatte. Ich habe ihn dann angerufen und ihm Bescheid gegeben, so dass ich schwanger bin und wie es denn ist, ob der das haben möchte. Und er meinte, auf gar keinen Fall, er wird alles bezahlen. Und als ich ihm gesagt habe, dass es bis zu 800 Euro kostet, hat er auch ganz komisch reagiert und meinte so, oh, der Typ hat sich im Endeffekt nie wieder bei mir gemeldet. (..) Der hat nicht gefragt, hey, hast du Lust, dass ich dich unterstütze, ich komme mit dir zur Abtreibung. Nein, ich bin mit einem guten Kumpel mit zur Abtreibung gegangen. Und ich habe den Typen übrigens dann ein paar Wochen später nochmal auf der Straße gesehen, ein sehr attraktiver Mann. Deswegen sind meine Augen da auch wieder direkt hin. Und ich habe ihn gefragt, so hey, warum hast du dich denn nicht mehr gemeldet? Ja, ich habe mein Handy verloren und deswegen hatte ich dann deine Nummer nicht. Und ich wusste aber, dass er auch Leute aus meinem Bekanntenkreis kannte, der hätte super [00:08:21] einfach auch die Nummer haben können. Aber nein, er hat sich einfach komplett aus der Verantwortung rausgezogen. Und übrigens hat er sich regelmäßig danach noch gemeldet mit, hey, noch wach. (.) Unglaublich. Man kann es nicht glauben, wenn man es nicht erlebt hat. Der Typ, der mich geschwängert hat, der mich dann komplett hat fallen lassen, der hat mich komplett durch die ganze Prozedur alleine gehen lassen und wollte danach noch regelmäßig mit mir Sex haben. Kannst du dir nicht ausdenken? S08 [00:08:50]: Ja, nicht alle Männer und so, aber ein Teil der 1,4 Millionen alleinerziehenden Mütter in Deutschland wird da sicherlich ebenfalls ihre Geschichte zu erzählen haben. Leider gibt es keine Zahlen dazu, wie viele Erzeugende sich jährlich aus der Verantwortung ziehen, wenn ungeplant Schwangerschaften entstehen. Aber man weiß, dass die Hälfte der Alleinerziehenden, was meistens Mütter sind, keinen Unterhalt vom anderen Elternteil erhalten. Und das, obwohl ein Viertel der Väter, die nicht zahlen, genügend Geld hätten. Allein wegen der Möglichkeit, mit einer ungewollten Schwangerschaft sitzen gelassen zu werden, hatte ich immer das Gefühl, für die Verhütung verantwortlich zu sein. Weil wenn es passiert, wäre ja ich schuld gewesen. Mit allem, was da gesellschaftlich, zumindest angeblich, dranhängt. Scham, Abwertung. Naja, und diese Angst hat natürlich meine Sexualität beeinflusst. Ich wollte immer auf Nummer sicher gehen, ständig, immer. Und das wirkt sich dann nicht gerade befreiend aus. S03 [00:09:48]: Wir haben das immer mehr verinnerlicht, dass Verhütung einfach ein Frauending ist und dass wir da auch über ganz froh sein sollten. S08 [00:09:55]: Stimmt Franka Frey im Interview mit ein. Sie ist Journalistin und Autorin und in ihrem sehr empfehlenswerten Sachbuch Überfällig dreht sich alles um die vielen ungeklärten Fragen und Ungerechtigkeiten rund um Verhütung. Zum Beispiel, dass Verhütung als Frauensache abgetan wird. S03 [00:10:12]: Das war nicht immer so, wenn man sich die Geschichte der Verhütung ansieht. Es hat auch viel mit dem erkämpften Recht zu tun, für das viele Jahrzehnte, (.) Jahrhunderte, wenn man es sagen möchte, gekämpft wurde. Dass die Verantwortung für Verhütung vor allem für Frauen liegt, es hat auch viel mit Selbstbestimmung zu tun. Aber es kommt auch mit Unannehmlichkeiten einher, mit Arbeit, mit finanziellen, gesundheitlichen Einbußen. Das bedeutet auch viel Mental Load. S08 [00:10:38]: Das sieht Franka auch an ihrer persönlichen Verhütungsstory, S03 [00:10:41]: die überhaupt nicht außergewöhnlich ist, sondern eigentlich die ziemlich klassische Geschichte einer privilegierten Cis-Frau in Zentraleuropa. Ich habe halt irgendwann, nachdem ich jahrelang die Pille hatte, mit anderen hormonellen Verhütungsmitteln auch schlechte Erfahrungen gemacht hatte, die Spirale eingesetzt bekommen, landete damit in der Notaufnahme. Und spätestens da war klar, ich will irgendwie was machen. Was können wir ändern? (.) S08 [00:11:07]: Ja, auch ich habe Schmerzen beim Einsetzen einer Spirale ertragen, mir jahrelang Hormone gegeben, von denen ich gar nicht wusste, was sie noch so mit meinem Körper anstellen. Und natürlich immer brav gezahlt. Denn Verhütung wird nur bis zum vollendeten 22. Lebensjahr von der Krankenkasse übernommen. Zumindest wenn sie ärztlich verschrieben wird. Und da zum Beispiel Kondome, das meistgenutzte Verhütungsmittel in Deutschland, nicht verschreibungspflichtig sind, kann sie auch niemand erstatten. (.) Etwa jede vierte Frau, die von Sozialleistungen lebt, musste schon mindestens einmal auf Verhütung verzichten, einfach weil das Geld dafür nicht gereicht hat. Und das politische Vorhaben, dass Krankenkassen die Kosten für Geringverdienende übernehmen, ist nichts geworden. Und von der aktuellen Regierung ist in diese Richtung meiner Meinung nach auch nicht so viel zu erwarten. S03 [00:11:58]: In anderen Ländern ist das anders. Also zum Beispiel in Frankreich ist Verhütung bis zum 26. Geburtstag vollständig kostenfrei. Und dort gibt es an bestimmten Stellen auch in Apotheken kostenfrei Kondome. Das ist ja auch im Sinne einer ganzen Gesellschaft, sich zu schützen, auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Dann gibt es aber einen ganz großen Vorreiter in Europa, und das ist Luxemburg. Seit 2023, also auch noch nicht so lange, werden alle Verhütungsmittel zu 100% erstattet. (.) Außerhalb von Europa, also zum Beispiel ein Freund von mir kommt aus Brasilien. Ich habe eben erzählt, bei uns kostet Verhütung Geld. Und im Schnitt zahlen gewerfige Menschen für Verhütung 3.600 Euro in ihrem Leben. Und viele verändern ihr Verhütungsverhalten, wenn sich ihre finanzielle Situation verändert. Da hat der mich angeguckt und hat nur gesagt, das kann doch nicht sein. Bei uns kriegen alle, die es wollen, Verhütung kostenfrei. Also Brasilien ist das so, Südafrika ist auch ein Beispiel. Indien und Thailand, da ist Verhütung weitestgehend kostenfrei. S08 [00:13:01]: Okay, aber bevor ich wie auch immer an meine Verhütungsmethode rankomme, muss ich natürlich erst mal wissen, was es überhaupt gibt und was davon zu mir passen könnte. S05 [00:13:10]: Ich weiß gar nicht, inwiefern wir abseits von so trockenen Zahlen auch so was Platz für Anekdoten oder sonst irgendwas haben wollen. Ja, gerne. Ich begleite schon relativ lange ehrenamtlich so Freizeitangebote für junge behinderte Menschen. Das ist Jonte. S08 [00:13:27]: Jonte Lindemann kommt aus den Gesellschaftswissenschaften und arbeitet beim Genethischen Netzwerk in Berlin. Du wirst Jonte hier noch öfter hören, besonders in der zweiten Folge dieser Trilogie, in der es unter anderem um Reproduktionstechnologien und Pränataldiagnostik gehen wird. Aber zurück zu Jontes Anekdote. S05 [00:13:46]: Die waren alle volljährig und wir waren auf so einer Städtereise und zwei Teilnehmende hatten Sex einvernehmlich. Das ist gar kein Problem. Es sind Erwachsene, es ist eher Urlaub, wenn die da so einen Holiday-Fling haben. Why not? Es ist nicht meine Aufgabe, das zu verhindern. Aber dann kam sie und hat sich an uns gewandt, weil sie hatten nicht verhütet. (.) Und sie war sehr, sehr klar darin, schwanger wollte sie nicht sein. Und jetzt hatten wir aber das Problem, dass Gesundheitssorge gar nicht bei ihr lag, sondern bei ihrem Vater. Der war irgendwie 18 Jahre alt, lebte noch zu Hause. Und naja, in der Apotheke hat sie, obwohl das in dem Land, wo wir waren, frei verkäuflich war, die Pille danach nicht bekommen. Und dann war so ein bisschen die Frage, ja Mist, offiziell darf sie das auch gar nicht alleine entscheiden. Theoretisch hätte ich jetzt in die Apotheke gehen können und diese Pille kaufen können. Aber damit bringe ich mich rechtlich in eine unmögliche Situation sozusagen. Das heißt, dein Vater muss irgendwie einbezogen werden. [00:14:49] Und die einzige Entscheidung, die sie dann noch hat, ist, möchtest du, dass wir mit dem sprechen oder möchtest du das machen? Und wer möchte denn mit 18 Jahren gerne über die eigenen Sexerlebnisse und Verhütungspannen mit dem Vater reden? Das ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit. S08 [00:15:04]: Im Gespräch mit der Teilnehmerin ist Jonte aber noch was ganz Generelles aufgefallen, was da schief läuft. S05 [00:15:09]: Am Anfang haben wir natürlich gefragt, nimmst du denn irgendwas? (..) Und dann hat sie gesagt, ja ich hatte so ein Pflaster, also so ein Hormonpflaster. Das habe ich aber abgemacht, weil das ist im Schwimmbad voll hässlich. Und wenn sich irgendein Gynäkolog in genug Zeit genommen hätte, irgendwie sie so aufzuklären, dass sie es versteht, dann wäre sie wahrscheinlich bei einem anderen Verhütungsmittel angelangt als bei diesem Pflaster. Weil das ja ganz klar für sie nicht die richtige Entscheidung war. Aber es ist natürlich einfach für betreuende Personen dann zu sehen, ob das noch dran ist oder nicht. Das heißt, da geht es dann irgendwie nicht um die eigene Wahl, sondern eigentlich um andere Leute und darum, dass es möglichst pflegeleicht ist in Anführungszeichen im Betreuungsalltag. (.) S08 [00:15:54]: Jonte hat dazu auch noch ein paar Zahlen in petto. S05 [00:15:56]: Was wir ganz klar wissen, ist, dass der Anteil von vor allen Dingen Frauen, die in Einrichtungen leben und mit der sogenannten Drei-Monats-Spritze-Verhütung bei ungefähr 43% liegt. Das ist wahnsinnig, wahnsinnig viel. In der Durchschnittsbevölkerung ist das glaube ich so 1%. Und man kann davon ausgehen, dass sie nicht alle, anders als der Rest der Bevölkerung gesagt hat, ja, das ist meine Lieblingsverhütungspraxis, (.) let's go, das ist das Mittel der Wahl für mich, sondern, dass das, was damit zu tun hat, dass das für die Institution einfacher ist. Weil eigentlich wird abgeraten von der Drei-Monats-Spritze, weil die Nebenwirkungen einfach auch so stark sind. Und hier wird das sozusagen so krass durchgeführt. S08 [00:16:38]: Das geht in eine Richtung, über die wir im zweiten Teil dieser Trilogie noch mehr sprechen werden. Unfreiwillige Verhütung bis hin zu Zwangssterilisation. (.) Da finden sich in unserer Menschheitsgeschichte mehrere dunkle Kapitel und sie haben einen großen Anteil daran, wie reproductive Gerechtigkeit heute gedacht wird. Jetzt soll es aber erstmal um Menschen gehen, die ganz freiwillig keine Kinder haben möchten, so wie die 18-jährige Teilnehmerin bei der Städtereise mit Jonte. Ihr Vater war dann übrigens sehr entspannt und hat einfach sein Go für die Pille danach gegeben. Aber was die freie Wahl der Verhütung angeht, ist offensichtlich noch viel zu tun. Auch ich erinnere mich an Gespräche bei der GYN, die sehr pragmatisch waren und nicht gerade ganzheitlich. So war es um mein 18. Lebensjahr herum völlig normal, dass gefühlt alle Welt die Pille nahm. Ich, weil ich mir damit erwachsen vorkam. Dass ich wegen der Pille überhaupt keinen Zyklus mehr hatte, war mir nicht klar. Dass es sich auf meine Lust auswirkt, wusste ich nicht. [00:17:40] Jedes Verhütungsmittel hat seine Vor- und Nachteile und ich hätte sie gern gekannt. Wenn man sich wirklich mal in Ruhe mit Verhütung beschäftigen will, ohne dass man bei Ärztinnen nur 5 Minuten und dann direkt ein Rezept in der Hand hat, gibt es auch andere Anlaufstellen, zum Beispiel Pro Familia. Die beraten in über 200 Stellen in ganz Deutschland, auch telefonisch oder online, unabhängig und oft kostenlos. Einen ersten Überblick zu Verhütungen für alle Geschlechter bietet die Webseite von Better Birth Control. Die Links findest du wie immer in den Shownotes. Aber klar, das ist nur die individuelle Lösung. Diese Aufklärung sollte ganz selbstverständlich zu uns kommen. In die Schulen, durch Kampagnen, in ärztlichen Praxen, in den Medien. (.) Dann würden vielleicht auch mehr Männer Verantwortung übernehmen? S03 [00:18:27]: Auch Männer haben ein Recht, diese Form der Selbstbestimmung für sich auszuleben und die Sexualität frei auszuleben. S08 [00:18:34]: Betont Franka Frey. Das geht aber kaum, weil Spermien produzierende Menschen nur die schmale Auswahl haben zwischen Kondom und Vasektomie. S03 [00:18:44]: Vasektomie kommt für viele nicht in Frage und das Kondom ist nicht zu Unrecht dafür bekannt, in entscheidenden Momenten zu fehlen, abzuflutschen, zu reißen. Kurzum, es könnte da viel, viel mehr geben. Der Forschung sind mehr als 100 Ansätze bekannt, die zu einer Art Pille für den Mann führen könnten. Sehr weit vorangeschritten in der Forschung ist tatsächlich eine reversible Vasektomie, also dass der Samenleiter nicht wie bei der Vasektomie durchtrennt wird, sondern nur vorübergehend verschlossen. Und das lässt sich dann wieder auflösen. Allerdings, muss man sagen, trotz der vielen, vielen Möglichkeiten, also über 100 Ansätze, die wir kennen und auch schon seit den 70er Jahren klinisch testen, hat es keine dieser Methoden bislang auf den Markt geschafft. S08 [00:19:28]: Das liegt auch daran, dass Nebenwirkungen bei männlicher Verhütung kaum akzeptiert werden. Also wenn Testpersonen zum Beispiel in Studien zur Pille für den Mann über Stimmungsschwankungen, Hautprobleme oder Gewichtszunahme klagen, dann wird die Studie abgebrochen. Bei Menschen mit Uterus hingegen sind genau diese Nebenwirkungen ziemlich normal und werden einfach hingenommen. Warum? (.) S03 [00:19:52]: Interessanterweise werden bei Menschen je nach Geschlecht Nebenwirkungen von Verhütungsmitteln anders gewertet. Bei Menschen, die schwanger werden können, sagt man, da ist ja das Risiko einer Schwangerschaft, deswegen nimmt man präventiv ein Mittel, dessen Nebenwirkung geringer ist, nämlich nur Akne, Libido, Verlust. Das unterwiegt den Nebenwirkungen einer ungewollten Schwangerschaft, die ja wirklich ein lebensgefährliches Risiko bedeuten kann mit einer Geburt. Und bei Menschen, die nicht schwanger werden können, sagt man, wieso? Die haben doch nichts zu befürchten. Und deswegen werden Nebenwirkungen anders berechnet. S08 [00:20:26]: Das Ergebnis ist, der Verhütungsmarkt bleibt sehr ungleich verteilt. Und überhaupt ist es ein riesiges Problem, dass Verhütung ein Markt ist. Von allein wird der nämlich nicht so viel regeln. Es braucht politischen Willen und gesellschaftlichen Druck, damit Bewegung reinkommt. Wie das aussehen kann, hat Franka schon erlebt. S03 [00:20:47]: 2022, der internationale Kongress für sogenannte männliche Verhütung, wurde dann nachmittags gestört von einer Gruppe von französischen AktivistInnen, die meisten waren tatsächlich männlich. Die stellten dann laut und deutlich schreiend mit einem Plakat eine andere Verhütungsmethode vor, die sie bereits nutzen. Das ist so ein kleiner (.) Silikonring. Es ist so ein bisschen wie eine Mischung aus einem (.) Silikonarmband und einem Haargummi. Und dieser Ring wird über Penis und Hoden gezogen. Dadurch werden die Hoden, die ja sonst außerhalb des Körpers liegen, in den Körper herangedrückt oder näher herangedrückt und erwärmen sich auf 1-2 Grad, nämlich auf Körpertemperatur. Und das stoppt langfristig die Spermienproduktion. Das zeigen auch Studien. Allerdings ist dieses Mittel auch nicht auf den Markt zugelassen. Das wird aber anders als die anderen Mittel einfach schon genutzt, weil es sich einfach selbst herstellen lässt. S08 [00:21:47]: Der Androswitch ist, wie Franka sagt, nicht als Medizinprodukt zugelassen. Deshalb wird der Ring als Talisman auf einer französischen Webseite vertrieben. Den Link findest du natürlich in den Shownotes. Probieren kann man's ja mal. Um sich von der Wirkung überzeugen zu lassen, empfiehlt sich ein Spermiogramm zum Beispiel in einer urologischen Praxis machen zu lassen. Aber ja, so sehr ich mich auch absichere, die meisten Verhütungsmethoden schützen nicht hundertprozentig. Die Folge, jede zweite Schwangerschaft ist ungewollt. Und um die 60% dieser ungewollt Schwangeren entscheiden sich dann auch für einen Schwangerschaftsabbruch. Und da wird's dann auch nicht einfacher. Denn wer in Deutschland eine Schwangerschaft beenden möchte, muss einige Regeln befolgen, um sich nicht strafbar zu machen. In kurz, es gibt eine Beratungspflicht bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle wie zum Beispiel Pro Familia, drei Tage sogenannte Bedenkzeit und dann muss der Abbruch [00:22:47] vor dem Ende der zwölften Woche nach Empfängnis stattfinden. (.) Dank eurer Sprachnachrichten können wir jetzt einen Einblick bekommen, wie es euch dabei so ergangen ist. S11 [00:22:58]: Ich hab mich zweimal für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden und es war beide Male ein echt langer, schwieriger Prozess. Ganz unterschiedlich auch. Also ich hab, glaube ich, insgesamt bestimmt vier Beratungen oder so gemacht. Manche waren richtig gut und hilfreich und sehr einfühlsam und bei ein oder zwei habe ich aber schon das Gefühl gehabt, ja, es geht jetzt wirklich halt nicht um mich so wirklich, sondern vor allem um das Wohl des ungeborenen Lebens. Das war dann schon, also, ja, fühlt sich natürlich nicht so cool an. Einfach selber nicht gemein zu sein. (.) S10 [00:23:38]: Ich hatte das Glück, super betreut zu werden. Ich habe bei Pro Familia sofort einen spontanen Beratungstermin bekommen. Die Dame bei der Krankenkasse war super offen und freundlich zu mir und hat auch mich dabei unterstützt, dass diese Kosten übernommen werden und auch die Frauenärztin, bei der ich dann war, im Endeffekt hat mir geholfen. Also, ich musste weder den Herzschlag des Kindes hören, noch mir den Ultraschall anschauen. Sie hat explizit das Bild beiseite gedreht und war auch total umsichtig und trotzdem professionell dabei. Und über die Jahre, also es ist mittlerweile (.) sechs, sieben Jahre her, (..) merke ich immer wieder, was für ein großes Glück ich gehabt habe, (.) dass sich so gut um mich gekümmert wurde. (.) Und ja, ich wünsche es auf jeden Fall [00:24:38] jeder Frau, die in diese Situation kommt oder jedem Menschen, der schwanger ist und es nicht sein möchte, eben auch so super betreut zu werden. (.) S01 [00:24:48]: Als ich wusste, dass ich schwanger bin, bin ich mit meiner Mitbewohnerin zu meiner Frauenärztin und habe dann vorne an der Rezeption der Arzthelferin Bescheid gegeben, ja, dass ich halt wohl schwanger bin und dass das unbedingt schnell weg muss. Und sie guckte mich an und (..) schrie mich fast an und meinte, andere wollen unbedingt Kinder und dass ich ja selber schuld bin, dass ich schwanger bin und hat mich da vor allen Menschen, die in dieser Praxis gerade waren, richtig runter gemacht und ich habe das nicht gemerkt, weil ich so unter Panik stand, dass ich dachte, oh Gott, ich muss unbedingt mit diesen Fotos in mir loswerden, ich will auf gar keinen Fall ein Kind haben. (.) Und meine Freundin hat mir das dann aber gespiegelt und meinte so, oh, das war aber heftig, was die gesagt hat. Ich habe das überhaupt nicht realisiert, ich habe das dann nachher auch der Frauenärztin gar nicht erzählt, ich habe mich auch nie getraut, ihr das zu sagen. (.) S04 [00:25:45]: Ich hatte Ende letzten Jahres einen medikamentösen Abbruch. In der Beratung hatte ich jetzt nicht das Gefühl, schlecht aufgehoben zu sein oder dass man mich in irgendeiner Art und Weise beeinflussen wollte. Ich muss aber auch sagen, dass ich ja schon zwei Kinder habe und das war auch so ziemlich die erste oder zweite Frage dann gleich, haben sie denn schon Kinder? Und als ich dann gesagt habe, ja, ich habe schon zwei in unserer Familienplanung abgeschlossen, da wurde dann immer drauf Rückbezug genommen und hat dann, ja, sie haben ja auch schon Kinder, sie wissen ja von zu reden. Also ich weiß nicht, wie dieses Gespräch verlaufen wäre, wenn ich gesagt hätte, nein, ich habe noch keine Kinder und ich plane eigentlich noch Kinder oder wie auch immer. S08 [00:26:23]: Ja, das kann ich verstehen, dass da so ein Geschmäckle bleibt. Wurde ich nur ernst genommen, weil ich schon Mutter von zwei Kindern bin? Schließlich berichtet die andere Sprachnachrichtlerin ja sogar davon, in der Praxis zusammengestorcht zu werden, weil sie kein Kind haben möchte. Und eine weitere hat irgendwie beides erlebt. Mal fühlte sie sich wirklich gesehen, ein anderes Mal fühlte sie sich eher wie die Hülle des Fötus. Eine ganz zentrale Quelle zu den Erfahrungen ungewollt Schwangere in Deutschland ist die ELSA-Studie aus dem vergangenen Jahr. Sie zeigt, die meisten, die eine Schwangerschaft abbrechen, erleben Stigmatisierung. Von Scham und Schuldgefühlen über die Angst vor negativen Reaktionen bis hin zu tatsächlich abwertendem Verhalten, etwa durch Ärztinnen oder Menschen im nahen Umfeld. Gleichzeitig kann es von vorne bis hinten gut laufen. Zum Glück, wie eine der Sprachnachrichtlerinnen sagt. Glück. Ich denke, genau darum geht es. Dass reproduktive Gerechtigkeit nichts mehr damit zu tun hat, ob wir Glückspilze [00:27:23] sind oder nicht. S06 [00:27:25]: Ich hatte einen Fall letztes Jahr in Berlin von einer Frau, die war eigentlich wegen was ganz anderem im Familienplanungszentrum, weil sie unter anderem betroffen war von sogenannter weiblicher Genitalbeschneidung und Verstümmelung. S08 [00:27:40]: Erzählt mir Taleo Stüwe im Interview. Taleo ist Arzt und engagiert sich bei Doctors for Choice. Er arbeitet als medizinischer Referent beim Bundesverband von Pro Familia und gibt Fortbildungen für queer-sensible Geburtshilfe. Deshalb werden wir ihn auch nochmal im zweiten Teil dieser Trilogie beim Thema Geburt hören. Er gehört zu den Ärztinnen, die sich dafür einsetzen, dass Glück keine große Rolle mehr spielen muss. S06 [00:28:07]: Und sie war eben nach Deutschland geflüchtet, erst ein paar Wochen da, hatte noch drei Kinder in ihrem Herkunftsland und war mit dem jüngsten Kind nach Deutschland geflüchtet. Dann wurde im Rahmen von der Untersuchung festgestellt, dass sie schwanger ist. Und dann war für sie total klar, sie kann jetzt nicht schwanger bleiben und sie kann dieses Kind nicht kriegen. Und es war eben klar, sie braucht diesen Abbruch. Dann haben wir die Aufklärung mit ihr schon gemacht. Es war für sie auch sehr klar, dass sie einen medikamentösen Abbruch machen möchte und keinen operativen. Sie war noch früh genug in der Schwangerschaft dafür. Das hat alles gepasst. S08 [00:28:41]: Den Antrag auf Kostenübernahme sollten sie und ihre Sozialarbeiterin nicht direkt bei der Krankenkasse ausfüllen. Die Klientin bekam die Unterlagen per Post und auf Deutsch. Ohne Sprachmittlung konnte sie das Formular aber nicht ausfüllen und zurückschicken. So ging wertvolle Zeit verloren. Das hat dazu S06 [00:29:00]: geführt, dass sie zum Abbruchstermin dann da war. Sie hatte den Beratungsschein, sie hatte die Wartezeit eingehalten. Alles war da, um den Abbruch zu machen, aber wir hatten die Kostenübernahme nicht. (.) Letztlich habe ich mit ihr dann den Abbruch trotzdem gemacht, weil sie sonst aus dem Zeitfenster für den medikamentösen Abbruch rausgefallen wäre und dann war die Verabredung, an dem gleichen Tag muss noch die Kostenübernahme unterschrieben werden, weil nur dann kann das abgerechnet werden. Dann hat die Sozialarbeiterin das nicht gewusst und hat ihr nicht geglaubt, dass das dringend noch am gleichen Tag bei der Krankenkasse abgestempelt werden muss und sie haben es dann einfach per Post hingeschickt. Dadurch war die Kostenübernahme zu spät datiert und die Kosten konnten nicht übernommen werden. Letztlich hat dann das Familienplanungszentrum einfach sich das Geld nicht zurückholen können, aber die Klientin musste nicht für ihren Abbruch bezahlen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass das so läuft und das hat mich einfach so wütend gemacht, dass ich so dachte, es hat eh schon so viele Hürden für diese Person in dieser superschwierigen Lebenssituation [00:30:02] und dann kommt sowas noch oben drauf und es ist am Ende fast egal, ob jetzt eine Person bei der Krankenkasse auch noch rassistisch eingestellt war und deswegen dieses Dokument nicht direkt vor Ort ausgefüllt hat, sondern gesagt hat, wir schicken das zu oder ob das einfach Stress war oder Unwissenheit war. Fakt ist ja, das führt am Ende zu mehr Belastung für die Klientin und nebenher halt auch noch für die Leute, die Abbrüche anbieten, die eh schon nicht gut vergütet sind. S08 [00:30:35]: Die Leute, die Abbrüche anbieten. Ja, und das sind gar nicht mal so viele. Und das ist ein riesiges Problem, denn selbst, wenn Schwangerschaftsabbrüche legal wären, führt sie kaum jemand durch, haben wir wenig gewonnen. So hat sich die Zahl der Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, seit den 2000er Jahren fast halbiert. (.) S07 [00:30:57]: Ich mache keine Werbung. Das ist für mich absurd. Das kann ich gar nicht denken, dass man für einen Schwangerschaftsabbruch Werbung macht. Das ist für mich völliger Blödsinn. S08 [00:31:06]: So richtig politisiert hat Talleo der Fall um Christina Hänel, die 2017 erstmals verurteilt wurde, weil sie als Ärztin auf ihrer Webseite Informationen rund um Schwangerschaftsabbrüche teilte. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Einfach nur, weil sie informierte. Christina Hänel kämpfte sich durch mehrere Instanzen, wurde mehrfach bestraft und reichte sogar Verfassungsbeschwerde ein. 2022 wurde der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch durch die Ampelregierung gestrichen. Nun durften also nicht nur du und ich, sondern auch echte Ärztinnen über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Die Urteile gegen Christina Hänel wurden somit aufgehoben und ihr Fall ging als entscheidender Auslöser für die Abschaffung des Informationsverbot in die Geschichte S06 [00:31:56]: ein. Als das so durch die Medien ging, dass eine Ärztin die Abbrüche anbietet, verklagt wird und sich vor Gericht irgendwie rechtfertigen und verteidigen muss, weil sie einfach nur auf ihrer Homepage sagt, dass sie Abbrüche anbietet und welche Methoden. Das fand ich so unfassbar ungerecht und das irgendwie mitzukriegen, parallel zu meinem Medizinstudium, wo Schwangerschaftsabbrüche einfach gar nicht thematisiert wurden in den Vorlesungen zur Gynäkologie und Geburtshilfe, sondern nur aufgetaucht sind als medizinethisch schwieriges Problem in Medizinethik-Seminaren und die andere Stelle, wo es aufgetaucht ist, war in einer Vorlesung zu Arztrecht, wo erwähnt wurde, dass es den, wie so Gewissensparagraphen gibt im Schwangerschaftskonfliktgesetz, demnach ÄrztInnen nicht dazu verpflichtet sind, an Schwangerschaftsabbrüchen mitzuwirken, wenn sie es nicht mit ihrem Gewissen, ihrer persönlichen Haltung, religiösen Überzeugung, was auch immer [00:32:57] vereinbaren können. (.) Eben weil Schwangerschaftsabbrüche ja im Strafgesetzbuch geregelt sind nach wie vor und dadurch nicht Teil von medizinischer Grundversorgung sein können, sondern immer so eine Extrarolle haben. (.) Ja, das war glaube ich so der Moment, wo ich so sehr eingestiegen bin, dann in so einen Pro-Choice-Aktivismus aus dieser Position als Medizinstudent heraus. Ja, denn S08 [00:33:23]: Medizinethik und Arztrecht führen nicht automatisch dazu, dass ÄrztInnen Schwangerschaftsabbrüche durchführen können oder überhaupt in Erwägung ziehen, das zu lernen. In der Praxis geht das häufig so weiter. S06 [00:33:36]: In vielen Häusern werden keine Abbrüche gemacht. Das heißt, ich komme damit gar nicht unbedingt in Berührung, im Studium oder in der fachärztlichen Weiterbildung. Und da habe ich auch Glück gehabt, einfach weil ich zufällig im praktischen Jahr in einem Krankenhaus in Köln, wo Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Und ich hatte dann in großen Anführungszeichen das Glück, dass die allermeisten AssistenzärztInnen, die dort gearbeitet haben, keine Abbrüche machen wollten. (.) Und da hatte ich dann den Freiraum, ganz viel im ambulanten OP zu sein, wo ich auch dann unter Supervision die ersten Abbrüche schon selber durchführen konnte. Und das hat mir total Rückenwind gegeben, einfach da schon noch im Studium quasi zu sehen, es ist wirklich kein komplizierter Eingriff. Ich kann das lernen, ich kann das machen. S08 [00:34:25]: Ein weiterer besonders prägnanter Moment für Talleo war die Begegnung mit dem Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit. Es hat seinen Blick auf Schwangerschaftsabbrüche deutlich erweitert. Denn rechtliche Hürden wie Beratungspflicht, Wartezeiten oder die gesonderte Beantragung einer Kostenübernahme betreffen nicht alle Menschen gleich stark. Sie erschweren vor allem denen den Zugang, die sowieso schon benachteiligt sind. Dazu kommen Sprachbarrieren, Informationen liegen oft nur auf Deutsch vor und in vielen Praxen oder Kliniken gibt es keine Sprachmittlung. S06 [00:34:57]: So was ist mir schon aufgefallen, aber es ist immer nur so rumgewabert und mit dem Konzept reproduktive Gerechtigkeit hatte ich das Gefühl, ja, es ist so gut eingefasst und es fällt mir seitdem viel leichter, so (..) intersektionale Perspektiven zu formulieren, zu fassen oder auch Kritik zu formulieren. S08 [00:35:18]: Die ELSA-Studiendaten zeigen, dass jede fünfte Person, die eine Schwangerschaft in Deutschland abbricht, Probleme damit hat, das Ganze zu bezahlen. Jede fünfte Person. S04 [00:35:29]: So ein medikamentöser Abbruch kostet einfach mal zwischen 500 und 650 Euro. Zumindest hat man mir das in der Beratungsstelle so gesagt. Ja, unterm Strich habe ich 750 Euro bezahlt, weil ich noch Folgemedikamente brauchte, ich musste noch mehrfach zur Nachsorgeuntersuchung. (.) Das hat alles nicht so funktioniert bei mir. Ich hatte da einige Komplikationen. Dadurch ist das natürlich noch teurer geworden. Und da meine Krankenkasse, die hätte das gar nicht getragen. Also ich musste es privat bezahlen. Sie meinten, nein, Krankenkasse bezahlt nur, wenn eine medizinische Notwendigkeit besteht. Ich habe gemeint, und wenn jetzt aber eine finanzielle Notwendigkeit besteht? Wenn ich zu arm bin und mir das Kind nicht leisten kann und mir auch gar nicht den Abbruch leisten kann? Dann hat man mir am Telefon klipp und klar gesagt, nein, das ist nicht unser Problem. Wir zahlen nur bei medizinischen Problemen. Und wenn sie kein Geld haben für den Abbruch, dann können sie keinen durchführen lassen. Das war die Aussage. Und das fand ich unfassbar. S08 [00:36:26]: Ja, das ist wirklich unfassbar. Vor allem, weil es seitens der Krankenkasse einfach nicht stimmt. Wer wenig oder gar kein Einkommen hat, kann sich die Kosten für einen Abbruch erstatten lassen. Doch in der Praxis läuft es oft anders. Für die Krankenkassen ist es meist einfacher, eine Kostenübernahme bei medizinischen Gründen zu bewilligen. Dass auch gewollte Abbrüche bei geringem Einkommen übernommen werden können, haben die Krankenkassen oft nicht so auf dem Schirm. Betroffene müssen dieses Recht also meist selbst kennen und aktiv einfordern. S06 [00:36:57]: Erfahrungswerte zeigen, dass gerade für Personen, die so ganz knapp über diese Einkommensgrenze sind und es dann selber bezahlen müssen, das einfach eine hohe finanzielle Belastung darstellt, dann mal eben 500 Euro hinblättern zu müssen, eine Ausgabe, die so nicht vorgesehen war. S08 [00:37:13]: Ergänzt Halleo Stüve im Interview. S04 [00:37:15]: Ich hatte das Glück, dass ich mir das leisten konnte, aber ich habe an die ganzen Frauen gedacht, die sich das eben nicht leisten können. (.) Und wie schlimm das ist. Da geht die Welt unter. Und das ist eine riesen (.) Katastrophe. (........) S08 [00:37:35]: Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, wäre eine Voraussetzung dafür, dass Krankenkassen die Kosten übernehmen könnten. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht ein einziger Satz, der etwas hoffen lässt. Der heißt, wir erweitern die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus. (.) Trotzdem ich persönlich glaube, wie auch bei den Gesetzen zu kostenfreien Verhütungsmitteln, dass von der aktuellen Regierung keine großen Veränderungen zu erwarten sind. Deshalb braucht es weiterhin Menschen, die dranbleiben. Und zum Beispiel am 28. September, da es jedes Jahr der Safe Abortion Day auf die Straße gehen. (.......) Denn weltweit zeigt sich, egal wie die Gesetzeslage ist, Schwangerschaftsabbrüche finden statt. [00:38:37] Kein Gesetz der Welt kann Abbrüche verhindern. Keins. Denn ungewollt Schwangere finden immer einen Weg. (.) Mögliche Bestrafung führt nur dazu, dass dieser Weg sehr unsicher für die Betroffenen sein kann. Und was das bedeutet, kannst du zum Beispiel in Anni Ernos Roman Das Ereignis nachlesen. Nur so viel, mir ist dabei schwarz vor Augen geworden. Und vor allem seitdem ich selbst ganz genau weiß, was es bedeuten kann, schwanger zu sein, ist mir wirklich komplett unklar, wie man auf die Idee kommt, Menschen zu einer ungewollten Schwangerschaft zu zwingen. Es ist mir wirklich absolut unbegreiflich. Also, der Wechsel vom Verbot zur Zugänglichkeit rettet ganz klar Leben. Und das ist wissenschaftlich vielfach belegt. S06 [00:39:28]: Dieses Narrativ von, wir haben einen guten Kompromiss mit dem Paragraphen 218, wie er jetzt ist. Die Versorgungslage ist gar nicht so schlecht. Wer einen Abbruch möchte in Deutschland, der kriegt den auch. Stimmt vielleicht in den allermeisten Fällen, aber zu welchem Preis? Und da eben auch dieser wichtige Aspekt von reproduktiver Gerechtigkeit zu sagen, eigentlich müssen wir auf die marginalisierten Perspektiven gucken und auf die vulnerablen Personengruppen. Und da gibt es auf jeden Fall noch genug zu tun, um diese Zugänge zu ermöglichen. Und die Forderung von Drs. Fortchoice und auch meine persönliche Forderung wären auf jeden Fall auch diese Beratungspflicht aus dem Gesetz zu streichen. Und dann wäre natürlich ein total wichtiger Punkt dafür zu sorgen, dass es trotzdem ein ausreichendes, umfassendes und sensibles Beratungsangebot gibt. Und das muss eben auch mehrsprachig sein. Das muss im besten Fall auch online zugänglich sein. Es muss Barrierefreiheit geben und es muss sensibilisiertes Personal geben, was diese [00:40:29] Beratungen durchführt, was eben auch gut umgehen kann damit, wenn Klienten von Rassismus betroffen sind oder queer sind oder mit einer Behinderung leben. S08 [00:40:40]: Thaleo erinnert sich zum Beispiel an eine Geschichte aus dem Buch Nicht nur Mütter waren schwanger, das Alisa Tretow herausgegeben hat. Es versammelt, so der Untertitel, unerhörte Perspektiven auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt. S06 [00:40:55]: Da gibt es einen Erfahrungsbericht von einem Transmann, der ins Krankenhaus kommt mit einer Fehlgeburt und wo ganz eindrücklich beschrieben wird, wie einfach alle maximal überfordert sind damit, dass da jetzt ein Mann ist und der schwanger ist und irgendwie auch so viele so neugierde Nachfragen oder Interessensnachfragen gestellt werden. Er da aber gerade wirklich steht mit einem akuten gesundheitlichen Problem und dann dauert das irgendwie alles länger, einfach weil er trans ist. Und ich glaube ein entscheidender Punkt ist, dass queere Personen gar nicht so auf dem Radar sind als Menschen, die auch schwanger werden können und dementsprechend auch ungewollt schwanger sein können. Und das Gesundheitssystem ist wie die ganze Gesellschaft sehr geprägt von Heteronormativität, aber ich würde fast sagen, dass es im Gesundheitssystem noch mal eine Nummer krasser ist, was sich schon in der Sprache abbildet. Frauen, Ärztin oder Gebärmutter, Muttermilch, da ist so komplett schon [00:41:57] diese Vergeschlechtlichung und Verknüpfung von Schwangerschaft mit Frau sein, mit Mutter werden, mit Weiblichkeit einfach komplett so drin angelegt. Und tatsächlich stimmt ja ein Stück weit auch, dass in der Vergangenheit weniger als Transpersonen sichtbar schwanger waren. Und das liegt aber nicht daran, was ja viel behauptet wird, dass das wie so ein aktueller Trend ist und alle wollen jetzt trans sein, sondern das liegt einfach daran, dass in Deutschland bis 2011 sich Transmenschen sterilisieren lassen mussten, wenn sie ihren Namen und ihren Personenstand offiziell ändern lassen wollten. (.) Das heißt, vor 2011 mussten Menschen sich quasi entscheiden, ob sie Kinder bekommen oder ob sie mit dem richtigen Namen und dem richtigen Personenstand eingetragen sind. Diesen Sterilisierungszwang, den gibt es jetzt zum Glück nicht mehr, aber das ist so die traurige Erklärung dafür, warum vermeintlich plötzlich [00:42:58] so viele Transpersonen Eltern werden und früher war das doch nicht so. S08 [00:43:02]: Ja, Wahnsinn, das ist einfach auch so spät. Also 2011 war gestern. Das ist echt S06 [00:43:08]: krass. Ja, das ist wirklich spät und für Interpersonen ist es sogar noch ein bisschen später. Da gab es zwar nicht so gezielte als solche benannte Sterilisierung, aber es werden nach wie vor häufig Operationen durchgeführt, sogenannte geschlechtsangleichende Operationen bei intergeschlechtlichen Kleinkindern und das geht häufig einher mit einer Einschränkung der Fruchtbarkeit oder auch einer Unfruchtbarkeit und da gibt es erst seit 2021, also was noch mehr gestern ist als 2011, einen gesetzlichen Schutz für Kinder mit, das heißt dann Variante der Geschlechtsentwicklung, also für intergeschlechtliche Kinder vor diesen Operationen, wenn es keinen medizinisch dringlichen Grund gibt für diese Operation, sondern es quasi nur um so eine Einpassung durch die OP in die Zweigeschlechternormen geht. S08 [00:44:02]: Während Transpersonen bis 2011 in Deutschland noch zur Sterilisation gezwungen wurden, nur um ihren Personenstand ändern zu dürfen, wird anderen das genaue Gegenteil verweigert, nämlich die freiwillige, dauerhafte Verhütung. Dabei ist für manche Menschen mit Uterus genau das, die sicherste und einzig wirklich verlässliche Möglichkeit, um ungewollte Schwangerschaften dauerhaft auszuschließen. Aber auch hier zeigt sich, wie tief das gesellschaftliche Bild von Weiblichkeit, Mutterschaft und späterer Reue in der medizinischen Praxis verankert ist. S09 [00:44:38]: Ich wusste schon früh, so mit 18, 19, dass ich gar keine Kinder haben möchte, also nie. Und als ich dann so 23 war, hatte ich bei meinem Frauenarzttermin mit meinem Frauenarzt versucht, darüber zu sprechen, über permanente Verhütungsmethoden, also Sterilisation. (..) Und mein Frauenarzt hat mich nicht aussprechen lassen. Mein Frauenarzt hat mich unterbrochen und gesagt, ja, also, bevor sie nicht ein paar Kinder haben oder mindestens 30 Jahre alt sind, müssen wir ja da gar nicht weiter drüber sprechen. Und ist gegangen. (..) Was? Ich war so perplex in dem Moment und bin es auch immer noch. In Deutschland gibt es gar keine Regelung über Sterilisation, dass man mindestens ein paar Kinder haben muss oder mindestens 30 Jahre alt sein muss, um sich sterilisieren lassen zu können. Wir haben [00:45:39] das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und mein Arzt hat mir das einfach weggenommen. Er hat mich noch nicht mal aussprechen lassen oder auf seine Aussage reagieren lassen. Er ist einfach gegangen. S08 [00:45:52]: In meiner Doppelfolge zu Kinder ja oder nee hörst du die Gründerin des Vereins Selbstbestimmt steril. Auf der Webseite des Vereins findest du eine Deutschlandkarte, auf der GynäkologInnen eingezeichnet sind, die Sterilisation durchführen. Das Mindestalter von 18 Jahren reicht. Außerdem kannst du, falls deine Familienplanung abgeschlossen ist oder nie ein Plan war, hier Gleichgesinnte finden. (10 Sekunden Pause) Weil Verhütung nicht uneingeschränkt verfügbar ist und weil Schwangerschaftsabbrüche nicht legal sind, wird klar, gewählte Kinderlosigkeit ist irgendwie gar nicht vorgesehen. Wer für sich entscheidet, keine Kinder zu bekommen, wird eher damit konfrontiert, egoistisch zu handeln. Als dass man auf die Strukturen geschaut wird, die oft erst zu dieser Entscheidung geführt haben. Eine Studie zu gewollter Kinderlosigkeit zeigt, [00:46:54] dass manche sich gegen Kinder entscheiden, weil Wohnraum oder Geld fehlen oder aus Angst vor der politischen Lage. Aber auch traditionelle Geschlechterrollen und Mutterbilder sind ein Ablehnungsgrund. Kann ich btw. alles sehr gut nachvollziehen. Diese Mutterrolle anders zu denken, ist aus eigener Erfahrung richtig viel Arbeit, on top zur ganzen Kümmerarbeit. Doch auch, wenn Menschen das einfach so wissen, ich will einfach keine Kinder haben, ganz ohne einen Grund zu nennen, muss das doch in Ordnung sein. Genauso wie es akzeptiert ist, wenn Menschen Kinder haben wollen. Oder? (..) Akzeptiert bei allen? Näää. S02 [00:47:35]: Ich bin 37, hab keine leiblichen Kinder und bin seit vielen Jahren relativ schwer psychisch erkrankt und hab mittlerweile auch einen Grad der Behinderung. Mein (.) Kinderwunsch war immer so schwankend. Je nachdem, wie es mir grad psychisch ging. Wenn ich mal wieder stabiler war, dann kam auch immer gleich der Kinderwunsch. Gings mir wieder schlechter. War irgendwie ganz klar, okay, hier ist kein Raum und keine Kapazität für ein Kind. Für ein leibliches. (..) Was ich echt bemerkenswert und schade finde, ist, dass ich in all den Jahren auch nie von Fachpersonen auf einen eventuellen Kinderwunsch angesprochen wurde. Also irgendwie scheint mir das schon sehr tabuisiert zu sein, das Thema. Und ich selbst hab mich leider auch nie getraut, jemanden anzusprechen. Also weder PsychotherapeutInnen noch meinen Psychiater. Weil ich lange Zeit dachte, wenn ich mir einen Kinderwunsch erfüllen möchte und schwanger werden möchte, dann muss ich davor erst alle Psychopharmaka abgesetzt haben. [00:48:38] Das hat dann letztendlich dazu geführt, dass ich in den letzten Jahren mehrmals in Absprache mit meinem Psychiater versucht hab, Medikamente abzusetzen. Dann ging es mir in der Folge wieder schlechter. Ich bin wieder in tiefe Krisen gerutscht. Dann mussten die Medikamente wieder aufdosiert werden. Ich hab das aber eben nie offen thematisiert, dass ich die Medikamente deswegen absetzen möchte, weil ich gerne noch schwanger werden möchte. (..) Also das kann echt problematisch sein und das hat mir echt viel Leid gebracht die letzten Jahre, dass ich da so wenig informiert war. Gleichzeitig finde ich, sollten wir da vom Hilfesystem her und generell als Gesellschaft es auch diesen Menschen ermöglichen, leibliche Kinder zu kriegen, weil die ja ohnehin schon stark unter der Erkrankung leiden und wenn dann noch ein unerfüllter Kinderwunsch dazu kommt, dann sind sie halt wieder doppelt oder mehrfach belastet. S08 [00:49:29]: Diese Gleichzeitigkeiten sind echt brutal. Den einen wird ein Kinderwunsch als das Natürlichste der Welt angehängt, den anderen werden Kinder gar nicht erst zugestanden. Ganz subtil, weil Informationen fehlen, Geld fehlt, Unterstützung fehlt oder sogar durch ganz offensichtliche Eingriffe wie Zwangssterilisation. Die letzte Sprachnachricht zeigt, wie ungleich das Recht auf Elternschaft verteilt ist und wie schmerzhaft das sein kann. Passend dazu geht es in der nächsten Folge dieser Trilogie darum, wer in unserer Gesellschaft überhaupt das Recht hat, Kinder zu bekommen und wer nicht. Ich freue mich, wenn du im Oktober wieder dabei bist. Vielen Dank an das Gunnar-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung für die Unterstützung. Besonders danke ich Amina Neute. Meine lieben SprachnachrichtlerInnen haben diese Folge erst zum Leben erweckt und Franker Frei, Thaleo Stüwe und Jonte Lindemann haben sie mit ihren Erfahrungen und Expertinnenwissen zu einer Art Standardwerk gemacht. Tausend Dank dafür. (......) [00:50:36] Zum Abschluss noch ein Veranstaltungstipp. Das Reproductive Futures Festival vom Gunnar-Werner-Institut findet am 21. und 22. November in Berlin statt. Komm vorbei. Folge mir gerne auf Instagram, Feminismus mit Vorsatz Podcast heiße ich da oder abonniere meinen Newsletter auf Substack. Ich verbleibe wie immer mit feministisch vorsätzlichen Grüßen. Tschüss.

